Logo Klein  Mexiko

 

Folge 08/2003, Bremen, den 02.02.2003 (Nr. 87)     1 Jahr kleinmexiko.de: Danksagung
        
Bitte beachten Sie bei Ihren Einkäufen und Aufträgen unsere Unterstützer:

 
 
Schnecken sehen mehr von der Welt
Loesje
...
Vielleicht, dass einst in andern Welten
Wir minder elend sind
Die Tugend wird doch irgends gelten.
Das Gute kömmt nicht gern geschwind.
G.E. Lessing: An den Herrn U

Beschaulichkeit ist nicht in Mode: Als meine Freundin und ich vor etlichen Monaten in einem Café an der Alster gerade unseren Kaffee ausgetrunken hatten, wurden die leeren Tassen sofort abgeräumt.
 
Dennoch habe ich es heute gewagt, gaaanz langsam einen Fuß vor den anderen setzend wie ein kranker, alter Mensch auf den Weg hinauszutreten und einen kleinen Spaziergang durch den Stadtteil zu machen. Dort, wo der Weg in die Straße mündet, wohnt ein Nachbar, der gerne alles unter Kontrolle und über alles ein Urteil hat. Es ist mir schwer gefallen, so unter seinem Fenster vorbeizugehen. Wäre er herausgekommen und hätte er mich mit einer seiner unnachahmlichen Freundlichkeiten bedacht, ich hätte mich nur langsam umdrehen können. Vielleicht wäre mir in dieser Zeit ja eine bessere Antwort eingefallen, als ich sie bisher habe geben können. Oder ich hätte mich meiner vermeintlichen Langsamkeit geschämt und wehrlos gefühlt, weil ich noch wenig Übung in 'selbstbewußter öffentlicher Langsamkeit' habe.
 
Auf der anderen Straßenseite trottet ein kleines Kind hinter seiner Mutter her. Sie ermahnt es zur Eile. Das Kind beschleunigt seinen Schritt und rutscht prompt auf dem Schneematsch fast aus. Nach dem Beinahe-Fall stampft es bei jedem Schritt auf, um sich seines Halts zu vergewissern.
 
Ich verlasse die Siedlung und komme zur Stader Straße. Sie ist im Augenblick eine einzige Baustelle. Ich habe ein schlechtes Gewissen, so langsam an den schwer arbeitenden Menschen vorbeizugehen. Ich fürchte Ihren Spott.
 
In Peters kleiner Gaststätte will ich einkehren, um mir schon mal ein paar Notizen zu machen. Eine Frau mit Kind steht innen vor der Glastür. Ich bleibe draußen stehen und warte bis sie sich zum Gehen wendet. Ich mache ihr die Tür auf. Sie bedankt sich. Ich gehe hinein.
 
Nachdem ich ein wenig aufgeschrieben habe, gehe ich langsam die Straße 'Am Hulsberg' herunter. An der Kreuzung zur Stader Straße, kommt mir ein Schulmädchen von vielleicht elf Jahren entgegengeradelt. Sie wartet an der Kreuzung. Ich habe Zeit, ihr Gesicht anzusehen: Es wirkt seltsam abwesend und gehetzt. Als ich weiter gehe, kommt mir ein weiteres, jüngeres Mädchen auf dem Rad entgegen. Auch sie wirkt getrieben und geistesabwesend.
 

[M]

Ich betrachte im Vorbeigehen die Fenster: Obwohl ich hier schon tausende Male vorbei gekommen bin, nehme ich jetzt erst wahr, dass eine Wohnung ein ehemaliger Laden sein muss. Die Form und Größe des Fensters mit der Tür direkt daneben verraten es. Ich gehe zurück, um mir die ganze Häuserreihe noch einmal anzusehen. Beim zweiten Durchgang fallen mir auf einer Fensterbank Binsen, Papyrus und Zitronenmelisse auf. Solche Pflanzen hatte ich auch in meiner Studenten-Kellerwohnung.
 
Ein Lastwagen biegt in die Nebenstraße ein. Das Gesicht des Fahrers wirkt müde.
 
Ich gehe weiter zurück. An der Kreuzung Stader Straße/ Am Hulsberg sehe ich auf der anderen Straßenseite jenseits der Baustelle das Nachbarskind laufen. Ich will nicht schreien, einholen kann ich es nicht, ich bin darauf angewiesen, gesehen zu werden. Sie sieht mich nicht.
 
Ein Bauarbeiter fegt langsam und sorgfältig Sand über die neu verlegten Pflastersteine. Einen Teil fegt er weg, einen anderen läßt er mehr oder weniger gleichmäßig verteilt auf den Steinen liegen.
 
Ein Lastwagen fährt langsam aus der Baustelle heraus. Das Gesicht des Fahrers wirkt gelassen und konzentriert.
 
Ich gehe in die Siedlung zurück. Ich möchte niemandem mehr begegnen, nur ruhig nach Hause gehen.
 
Als ich in die winzige Diele eintrete, sehe ich den Kater oben auf dem Treppenabsatz sitzen. Wir blinzeln uns lange an. Schließlich kommt Krautzi herunter und läßt sich streicheln. Wieviel Zeit haben Tiere?

vgl. auch: Langsam (2)

Langsam (3)

Langsam (4)

Langsam (5)

Lieferfahrräder auf dem Vormarsch?

Wer ist Loesje?


Nächste Folge 'Alltag in Bremen':
Donnerstag, den 06.02.2003


< vorige Folge     nächste Folge >

Archiv: Alle Folgen 'Alltag in Bremen'
         Platzhalter für Anzeigen
Platzhalter für Anzeigen


























  
 
 

nach oben         sitemap